altmarkgeschichte

Datenbank Historischer Grabmäler der Altmark





Kersten d. Ä. Schenk von Flechtingen

Erb- und Gerichtsherr auf Flechtingen und Dönstedt

Sterbedatum:
28.05.1571
Konfession:
evangelisch
Ort:
Flechtingen
Standort:
Kirche
GPS:
11.142038 - 52.195482

Beschreibung:
Epitaph, Sandstein, in die Nordwand des Kirchenraumes eingelassen, durch die zwischen 1722 und 1727 errichtete Nordempore, den von dort zur ostwärts anschließenden Orgelempore führenden Treppenaufgang sowie wandnahe Teile des historischen Kastengestühls teilweise verdeckt, daher in seiner Gesamtwirkung stark beeinträchtigt.
Die Eheleute Kersten Schenk d. Ä. und Catharina v. Bülow in strenger Frontalansicht wiedergegeben. Beide stehen in getrennten, architektonisch gerahmten und durch hochgezogene Karniesbögen abgeschlossenen Nischen. Kersten Schenk dabei barhäuptig in voller Rüstung, die Rechte um den Griff des Parierdolches geschlossen, während die Linke das offenbar aus seinem Gehänge gelöste Seitschwert flach an den Brustpanzer drückt. Die flächigen Teile der Rüstung mit kräftigen floralen Ornamenten geschmückt; die schwere Halskette mit scheibenförmigem Anhänger, der als Umschrift die Buchstabenfolge "A - G - D - E" (als Kürzel der offenbar persönlichen Devise "Allein Gott die Ehre" - siehe unten!) erkennen lässt. Der Federbusch des offenen Visierhelms wird neben dem rechten Bein des Dargestellten sichtbar. Die unteren Teile der Figur durch das Gestühl verdeckt, aber unter Mühen einsehbar. Das linke Bein leicht ausgestellt; das rechte dagegen in Andeutung einer Schreitbewegung frontal wiedergegeben, die perspektivische Verkürzung des Fußes dabei nicht befriedigend. Die einschwingenden Bogenzwickel der Nische bieten Raum für das obere Wappenpaar (Schenk - Wenckstern) der vierstelligen Ahnenprobe, die sich - hier in Gestalt sorgfältig gearbeiteter, allerdings infolge unsachgemäßer Entfernung ihrer Tinkturen etwas teigig wirkender Vollwappen - insgesamt an den Vorgaben der gegenüber an der Südwand aufgestellten Grabplatte orientiert. Das untere Wappenpaar (Jagow - Knesebeck) eher unmotiviert auf stehengelassenem Hintergrund wiedergegeben.
Die Darstellung der Catharina von Bülow lehnt sich sowohl in ihrer Körperhaltung als auch in der schlichten Gewandung, der plissierten Haube und sonstigen Details an das Vorbild der Grabplatte an (siehe dort). Beiden Relieffigueren sind wulstartige Standflächen unterlegt. Auch im Fall der Catharina von Bülow entsprechen die vier Ahnenwappen der an der Südwand aufgestellten Grabplatte.
Beide Platten werden durch zwei ehedem vollplastische, seit dem frühen 18. Jahrhundert jedoch teilweise eingeputzte toskanische Säulen gerahmt, die ein kräftig verkröpftes Gesims tragen. Der mittig zwischen den Reliefplatten stehende, flache Pilaster erweist sich bei genauerem Hinsehen als aufgedübelte hölzerne Zutat (allerdings mit Resten früherer Farbigkeit!), deren Kapitell keinerlei Anbindung an die Architravzone aufweist und hier nur die Fuge zwischen den beiden Platten zu kaschieren hat.
Die markanten Säulen, deren Kanneluren eigentlich von ihren antiken Vorbildern abweichen, aber in entsprechender Weise durch Hans Vredeman de Vries in dessen "Architectura" von 1577 publiziert wurden, stehen auf kräftigen Postamenten, bei denen nur die seitlichen Diamantierungen sichtbar sind. Postamente und unteres Mittelfeld werden durch ein umlaufendes Gesims zusammengefasst.
Die Gesimspartien oberhalb der beiden seitlichen Säulen ehedem mit überaus fein gearbeiteten Engelsköpfen, Eierstäben und Diamantierungen versehen, die im Zuge des Emporeneinbaus bis auf geringe Reste grob abgeschlagen wurden. Die ehemals deutlichen Gesimsvorsprünge weitestgehend abgearbeitet; daher muss die Frage nach früheren figürlichen Aufsätzen offen bleiben.
Das obere Geschoss des Epitaphs dreizonig. Das dominante Mittelfeld Teil einer Ädikula mit flachen, floral ornamentierten Pilastern, die zentrale Darstellung der Auferstehung Jesu in einen Nischenrahmen unter Dreipassbogen gestellt; in den Bogenzwickeln Engelsköpfe. Links und rechts flankierend je eine flächig angelegte Volute mit Reliefdarstellung aus dem Alten Testament: Links der vom Wal ausgespiene Prophet Jona, rechts Simson im Kampf mit dem Löwen.
Die flachen Pilaster leiten über zu einem ausladenden oberen Gesims, dem wiederum ein flacher, deutlich rückspringender Dreiecksgiebel aufgesetzt ist. Zwischen Akanthusblättern hier eine querovale, einfach gerahmte Kartusche mit der in großer Kapitalis erhaben ausgehauenen Inschrift "ALEIN // GOT DIE // ERE". Die dreizeilige Hauptinschrift des Epitaphs findet sich, teilweise verdeckt durch die Trägerkonstruktion der Empore, auf dem säulengetragenen Architrav über den Reliefbildern der Eheleute Schenk. In ausgehauener, etwas verwaschener Kapitalis steht dort: "IHESVS SPRICHT ICH BIN [DIE AVFERST]EHVNG VND DAS LEBEN // WER AN MICH GLEVBET DER [WIRD LE]BEN OB ER GLEICH STVRBE // VND WER LEBET VND GEL[VBET AN MICH DER WIRD NIMMER]MER STERBEN". Darunter in eingehauener Kapitalis: "IOHANNES AM XI [CAPITEL] (=Johannes 11, 25-26).
Zwischen den Säulenpostamenten zwei querformatige Rollwerkkartuschen mit folgenden Inschriften in sauber eingehauener Kapitalis (nicht einsehbare Passagen ergänzt): Links: "[ABER ICH WEIS DAS MEIN ER] / LOSER [LEBET VND ER] WIRT / MICH AVS DER ERDEN AVF / WEKEN VND WERDE MIT / MEINER HAVT VMGEBEN / WERDEN" (Hiob 19, 25); rechts: [SELIG SIND DIE IM HERN ENT] / SLAFEN . DEN KEINER LEBET IM / SELB(ER) VND KEINER STIRBT IM / SELBER . LEBEN WIR SO LEBEN / WIR DEM HERN STERBEN WIR / SO STERBEN WIR DEM HERN" (kombiniert aus Offenbarung Johannis 14,13 und Römer 14, 7-8). Säulenpostamente und unterer Rand der beiden Inschriftkartuschen stehen entgegen allen ästhetischen Grundsätzen auch des 16. Jahrhunderts direkt auf einem älteren Laufhorizont des Kirchenraums; ein jüngerer, noch höherer Bodenbelag hält zu den Aufbauten des Epitaphs einen Abstand von rund 15 cm. Ein sicher anzunehmender Sockel als potentieller Unterbringungsort einer Widmungsinschrift lässt sich nicht (mehr) nachweisen; vielleicht auch dies eine Folge von Demontage und Wiedererrichtung des Grabdenkmals im Zuge des Kirchenneubaus in den 1720er Jahren, die wohl auch dazu führte, dass die beiden zentralen Reliefplatten gegeneinander vertauscht wurden, so dass ihre Position seitdem der christlich-heraldischen Konvention zuwiderläuft.

Da eine konkrete Datierung fehlt, bleibt die kunstwissenschaftliche Zuordnung des Stücks problematisch. Es sei jedoch auf das 1574 geschaffene Epitaph für den Komtur zu Süpplingenburg Christoph v. Bredow in der dortigen St. Johanniskirche hingewiesen, dessen Gesamtaufbau vor allem im oberen Geschoss ebenso auffällige Entsprechungen zu Flechtingen zeigt wie zahlreiche Details in der figürlichen Bewältigung der Reliefs sowie der Liebe des Bildhauers zu floralen Dekorationsformen etwa bei den Pilastern. Von Süpplingenburg führt eine zusätzliche Spur nach Braunschweig, wo das 1582 durch den Meister H.S. (=Hans Seeck) geschaffene Grabmal der Familie von Walbeck (St. Martini) einen mit Flechtingen vergleichbaren, sonst eher selten zu beobachtenden Rücksprung seines abschließenden Dreiecksgiebels vollzieht.
Auch die Flechtinger Relieffigur des Kersten Schenk weist in Richtung Braunschweig, wo Jürgen Spinnrad in den späten 1560er Jahren eine ganze Serie von Epitaphen geschaffen hat, deren jeweilige Hauptfiguren in vergleichbarer, allerdings erheblich stärker bewegter Pose dargestellt werden. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang u.a. das Rogätzer Epitaph für Reimar I. v. Alvensleben († 1568), dessen zentrale Figur zwar stärkere Anklänge an die Arbeiten Spinnrads erkennen lässt, in der Gestaltung einiger Rüstungsteile jedoch die Darstellung des älteren Kersten Schenk vorwegzunehmen scheint. Sollte der 1582 verstorbene Hans Seeck tatsächlich für die Gestaltung des Flechtinger Epitaphs in Frage kommen, gäbe es für die Entstehung des Grabdenkmals einen terminus ante quem. Hinzuweisen ist außerdem auf das in seinem klaren architektonischen Aufbau Flechtingen nahestehende Epitaph für Busso v. Alvensleben (†1576) in Neugattersleben, für welches bereits Udo von Alvensleben-Wittenmoor Hans Seeck als Schöpfer vorgeschlagen hat, sowie auf das bei Alvensleben gleichfalls für Seeck in Anspruch genommene Epitaph für Hartwig v.d. Werder († 1567) in Ampfurth.
Trotz der unübersehbaren Einflüsse des zeitgenössischen Braunschweiger Kunsthandwerks bleiben Überlegungen zur Urheberschaft des Epitaphs aber letztendlich hypothetischer Natur, während sich wenigstens in einem Falle ein Nachfolgewerk für das Flechtinger Stück ausmachen lässt, soweit man dies mit Blick auf rein formale Aspekte sagen kann: Im Chorraum der Rheinsberger Kirche findet sich nämlich das dreizonige Epitaph für Joachim v. Bredow und dessen Ehefrau Anna v. Arnim (beide † 1594). Zwei in ein wuchtiges ornamentales Rahmenwerk mit jeweils 16stelliger Ahnenprobe eingefügte Grabplatten mit personenbezogener Umschrift bilden hier das Zentrum des zweiachsigen Hauptgeschosses, während das gleichfalls zweiachsige Obergeschoss links - analog zu Flechtingen - die Reliefdarstellung des dem Wal entronnenen Propheten Jona sowie rechts die Auferstehung Christi zeigt. Als Entstehungszeit wird man die Zeit unmittelbar nach 1594 annehmen dürfen. Da Joachims Tochter Sabina damals bereits als Gattin des Werner Schenk in Flechtingen lebte, sind von dort ausgehende Anregungen für das elterliche Rheinsberger Epitaph mehr als wahrscheinlich.

Literaturquellen:
Zum Objekt: Johann Christoph Bekmann, Beschreibung der Chur- und Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1753, Teil 5, I. Buch, IV. Kap., S. 86 (kursorisch); Heinrich Adolf Matthias Hildebrandt, Die Grabsteine und Epitaphien adeliger Personen in und bei den Kirchen der Altmark [...], Gardelegen 1868, S. 78-79 (hält das Epitaph irrtümlich für 2 Grabplatten); Gottfried von Bülow: Geschichtliche Nachrichten über die von Bülow zu Oebisfelde, als Beitrag zur Geschichte des Geschlechts nach urkundlichen Quellen. Magdeburg 1868, S. 49-50 (hält wie Hildebrandt die beiden Hauptreliefs des Grabdenkmals gleichfalls für Grabplatten, deren Sinn er sich allerdings nicht erklären kann, da bereits zwei solcher Stücke vorhanden sind). Ev. Kirchengemeinde Flechtingen (Hrg.), Auf steinigem Grund - Flechtinger Chronik des Pastor Willing, Haldensleben 2011, S. 39-40 (dort u.a. oberflächliche Andeutung nicht mehr sichtbarer Inschriften); Irene Heinecke/Heimo Reinitzer, Flechtingen - Seine evangelische Kirche und ihre Ausstattung, Altenburg 2015, S. 66-67 (dort nicht ganz fehlerfreie Wiedergabe der Inschriften, abwegiger Deutungsvorschlag zur Medaillon-Inschrift als "AG[NUS] DE[I]" und höchst fragwürdige Ausführungen zur äußeren Erscheinung der Dargestellten: Catharina Schenk, deren Kopf keineswegs von einer Haube bedeckt ist, "die auch Kinn und Wangen umschließt", trägt kein wie auch immer geartetes "Gebende" (=Kopfbedeckung adliger Damen des Mittelalters!), sondern, die Darstellung der Grabplatte zitierend, das hier noch hinter der Haube ansetzende, sich wenige Jahrzehnte später in ein stolenartiges Gebilde umwandelnde "Trauerband". Auch lässt sich mit Blick auf die Muscheln und Mäuseln der Ellenbogenkacheln beim Harnisch Kersten Schenks keinerlei Auffälligkeit feststellen. Kunsthistorische Fachbegriffe kommen sachkenntnisfrei zur Anwendung: Nicht das Epitaph als Ganzes, sondern dessen Obergeschoss ist als Ädikula konzipiert!). Dehio, Handbuch der dt. Kunstdenkmäler, Sachsen-Anhalt I, bearb. von Ute Bednarz und Folkhard Cremer, München-Berlin 2002, S. 219 (kursorische Beschreibung). Zu den Personen: Siehe die Ausführungen zu den Grabplatten.

Text und Foto:
Bernd-W. Linnemeier, August 2017